„Schlafen, essen, Eishockey“
Grizzlys-Urgestein Sebastian Furchner im Interview
Der Kapitän einer Mannschaft ist nicht nur sportlich unersetzbar, sondern auch Anführer in der Kabine, verlängerter Arm des Trainers und das Gesicht einer ganzen Organisation. Umso glücklicher sind die Verantwortlichen in Wolfsburg, dass Rekordspieler Sebastian Furchner auch in der kommenden Saison für die Grizzlys auf dem Eis steht. Der 38-Jährige verlängerte in der vergangenen Woche seinen Vertrag und wird damit in seine 20. Spielzeit in der PENNY DEL gehen.
Sebastian, nach weit über 1000 Spielen in der höchsten deutschen Spielklasse ist die aktuelle Saison auch für dich ungewöhnlich. Ist es auch die schwierigste in deiner bisherigen Karriere?
„Es ist auf jeden Fall die beschissenste. Eishockey lebt von Emotionen. Nicht nur auf dem Eis, sondern auch von den Rängen. Das ist natürlich absolut gar nicht gegeben. Wenn man auf dem Eis steht, fällt es einem gar nicht so auf. Aber zwischen den Wechseln, in der Drittelpause oder vor und nach dem Spiel ist es extrem traurig. Man gewöhnt sich überhaupt nicht dran, dass ohne Zuschauer gespielt wird. Und daran will ich mich auch gar nicht gewöhnen. Ich finde es jeden Spieltag aufs Neue erschreckend.“
Inwieweit fällt es dir schwer, deinen Fokus auf den Sport zu lenken? Du bist ja nicht nur Sportler sondern auch Familienvater und Ehemann.
„Das Drumherum ist schon anders, als man es gewohnt ist. Es ist alles, wie bei allen anderen Menschen auch, aus den Fugen geraten. Man muss das Beste daraus machen und sich immer wieder ein Stück weit anpassen. Schule auf, Schule zu, Homeschooling. Meine Kinder machen da toll mit. Wir probieren die Zeit rumzukriegen, bis wir hoffentlich wieder in eine bessere Zukunft schauen.“
Aber sobald du in die Eishalle kommst, versuchst du dich auf deinen Job zu konzentrieren.
„Aber auch da ist nichts, wie es war. Jeder macht sich mit Maske individuell warm. Man soll nicht zusammensitzen, man wird ständig getestet. Wo die PENNY DEL in meinen Augen einen super Job macht, muss ich wirklich sagen. Bei aller Kritik, die im Sommer war. Da haben sie auch jetzt wieder, wo wir die ersten Corona-Fälle hatten, mit einem nochmal strengeren Testprogramm direkt reagiert. Um alle Beteiligten noch besser zu schützen. Aber wir haben uns jetzt alle ein bisschen darauf eingestellt. Denn am Ende des Tages geht es doch ums Gewinnen.“
Du hast dich ja im Sommer in deiner Garage vorbereitet, die du zu einem Fitnessraum umgebaut hast. Steht der noch?
„Die meisten Sachen hatte ich mir aus dem Kraftraum aus der Kabine mitgenommen. Die musste ich natürlich zurückgeben, aber ich habe schon ein paar Sachen über die Jahre gesammelt. Ein eigenes Fahrrad und Gummibänder habe ich schon daheim. Die Fahrradprogramme laufen ja auch alle über Internet, da können wir die auch zu Hause fahren. Da kommt einem der Verein schon auch entgegen, dass man sich möglichst wenig im Stadion begegnet.“
Du spielst jetzt seit 2008 in Wolfsburg und du hast noch einmal für die neue Saison verlängert. Was waren letztlich die Gründe dafür?
„Es war schon ein etwas längerer Prozess, als im letzten Jahr. Charly und ich haben uns drei Mal zusammengesetzt. Ich habe mir dann vier Wochen Zeit genommen, alles reflektiert und in mich reingehört. Wir treffen so eine Entscheidung auch als Familie. Als ich dann gesagt habe, ich spiele nochmal ein Jahr, habe ich gemerkt, wie glücklich es mich gemacht hat. Wenn du ins weite Rund in alle Stadien der Ligen schaust, wo du immer wieder Erfahrungen über die letzten 19 Jahre mit den Zuschauern gesammelt und daraus Energie geschöpft hast, das fehlt alles komplett. In Iserlohn singe ich gerne das Iserlohner Lied mit. Und wenn du die Möglichkeit hast, das nochmal zu erleben, dann musst du die beim Schopf packen. Ich hätte eine riesige Freude daran, nochmal alles aufzusaugen und zu inhalieren. Und auch viele Kollegen haben mich angerufen und gesagt, dass so keiner aufhören soll. Das sehe ich genauso.“
Welche Ziele hast du dir noch gesetzt? Gibt es da noch eine bestimmte Zahl oder eine Situation, die du noch im Kopf hast?
„Dieses Jahr geht es darum, unseren Sport am Leben zu erhalten. Und da haben alle Beteiligten riesige Opfer schon im Sommer gebracht, dass wir das ins Laufen kriegen. Und dann will ich im nächsten Jahr nochmal dieses Eishockeyfeeling erleben. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich Deutscher Meister werden oder eine bestimmte Zahl an Toren schießen möchte. Mir geht es um das Erlebnis des Spiels, mit den Jungs zusammen zu gewinnen und vielleicht auch zu verlieren. Das kommt nicht wieder, wenn man aufhört. Aber das ist das Schönste an dem Sport und das vermissen auch die Meisten.“
Wenn du es dir ausmalen könntest: Wie sieht ein perfektes letztes Karrierejahr für dich aus? Und gibt es den einen perfekten Moment?
„Wenn wir es schaffen, als Mannschaft eine normale Saison zu spielen. Ganz normal wird sie vielleicht am Anfang nicht werden, aber irgendwann wird sie vielleicht doch wieder normal. Dass die Stadien wieder voll sind und die Leute sich auch trauen in die Stadien zu kommen. Dass die Atmosphäre auch bisweilen hitzig wird. Weil das einfach auch schön ist, wenn es über 60 Minuten brennt und Emotionen pur gibt. Und die Playoffs, mit einer harten Serie. Wo auch drumherum viel passiert und alle voll dabei sind. Und wo es für ein paar Wochen nichts anderes gibt, außer schlafen, essen, Eishockey. Das nochmal zu erleben, wäre für mich das Größte.“