Sinan Akdag: Der „Weiße Berg“ kehrt zurück

Als Sinan Akdag einmal mehr Pionierarbeit geleistet und vor zwei Jahren in Schweden als erster türkischstämmiger Eishockey-Spieler bei einer WM das Trikot mit dem Bundesadler getragen hatte, taufte ein großes deutsches Boulevardblatt den Verteidiger zum „Eis-Özil“. Mit dem Fußball-Weltmeister will sich der Adler-Neuzugang jedoch ganz und gar nicht vergleichen: „Mesut ist ein Weltstar, ihn kennt jeder. Ich bin noch weitgehend unbekannt.“

Dennoch ist die Akdag-Story (das „G“ im Nachnamen bleibt unausgesprochen) eine Erfolgsgeschichte, gilt der 24-Jährige doch als Musterbeispiel für Integration. Im eishockeyverrückten Oberbayern aufgewachsen, nahm er zwangsläufig irgendwann den Schläger in die Hand. Aus Neugier wurde Leidenschaft. Da er direkt neben der Eishalle von Rosenheim wohnte, trainierte der kleine Sinan nahezu jeden Tag.

Seine große Begabung deutete sich schnell an. Der Sohn einer türkischen Einwandererfamilie, der bis zum neunten Lebensjahr auch Fußball spielte, ließ sich von diskriminierenden Anfeindungen, die er in deutschen Eishallen wegen seiner Herkunft ab und an zu hören bekam, nicht von seinem Weg abbringen: „Das kam vor, ist aber lange her.“

„Hockey-is-Diversity“-Botschafter

Akdag ist dieses Thema nicht unangenehm, sondern es liegt ihm am Herzen. 2012 zeichnete ihn die Organisation „Hockey is Diversity“ für sein Engagement aus, seitdem fungiert der 1,89-Meter-Mann als Botschafter der Aktion, die vom ehemaligen DEL-Profi Martin Hyun ins Leben gerufen wurde. „Das ist eine gute Sache. Ich will helfen, wo ich kann“, unterstreicht der 24-Jährige, der sich in Krefeld unter anderem für das Projekt „Schule gegen Rassismus“ eingesetzt hat.

Einen Traum hat Akdag. Einen, der sich wohl nie erfüllen wird. „Ich würde sehr gerne mal gegen die türkische Nationalmannschaft spielen. Das wäre cool“, sagt er. Dass das Eishockey im Land seiner Eltern in den Kinderschuhen steckt und das Nationalteam zwischen der Dritt- und Viertklassigkeit pendelt, ist ihm bewusst: „Es gibt einige Universitätsmannschaften, viel mehr nicht.“ Mit Interesse hat er zu Kenntnis genommen, dass in Einkaufszentren der typischen Tourismushochburgen wie Side Eisbahnen zum Schlittschuhlaufen einladen. „Dort schneit es eben nicht gerade oft“, sagt Akdag und lacht: „Und alles, was selten ist, übt einen bestimmten Reiz aus.“

Seine Eltern sind vor zwei Jahren nach Istanbul zurückgekehrt. „Sie haben dort die Chance bekommen, mit 50 in Rente zu gehen“, erklärt der „Weiße Berg“ – so lautet die deutsche Übersetzung seines Nachnamens. Mama und Papa lassen sich die Spiele des Sohnemanns jedoch nicht entgehen. „Über deutsche TV-Kanäle bleiben sie immer informiert. Sie sind total eishockeyverrückt, das ist der Wahnsinn“, sagt Akdag. „Meine übrigen Verwandten haben sie auch schon damit angesteckt.“

Sieben Jahre lang drückte die Familie den Krefeld Pinguinen den Daumen – nun fiebert sie mit den Adlern. „Ich hatte wunderbare Jahre in Krefeld, will mit dem Wechsel nach Mannheim aber den nächsten Schritt in meiner Entwicklung gehen“, erklärt der Linksschütze und betont: „Ich denke, hier habe ich eine gute Chance, einen Titel zu holen. Davon träumt jeder Spieler.“

Akdag will nicht in der Masse untergehen, sondern Verantwortung übernehmen. „Ich war in Krefeld einer der Leistungsträger und möchte das auch hier sein. Wenn die Mannschaft erfolgreich ist, bin auch ich erfolgreich.“ Dass seine Zeit in Mannheim mit einem kleinen Rückschlag begann, nimmt der Rosenheimer mit Humor. Eigentlich wollte er auch bei den Adlern die „8“ tragen: „Doch da zum damaligen Zeitpunkt nicht feststand, ob Yanick Lehoux bleiben oder gehen würde und er die ,8’ hatte, habe ich eben die ,7’ genommen.“

Raumverteidigung praktikabler

Beim Umsetzen des Systems von Coach Geoff Ward sieht Akdag sein Team auf einem guten Weg. In der eigenen Zone setzt Mannheim auch wegen des vergrößerten Angriffsdrittels auf eine Raumverteidigung: „Mann gegen Mann ist nicht so praktisch, weil das Team gleich gefährlich in Unterzahl gerät, wenn einer mal seinen Gegenspieler verliert.“

Einen ersten Vorgeschmack auf das, was in der neuen Saison wartet, hat Akdag beim Derby-Testspiel gegen Frankfurt bekommen. „So etwas habe ich noch nicht erlebt: mehr als 10 000 Fans bei einer Vorbereitungspartie? Unglaublich! Als ich beim Aufwärmen auf die Ränge geschaut habe, habe ich eine Gänsehaut bekommen.“

Am Sonntag kehrt Akdag nach Krefeld zurück. Der DEL-Spielplan wollte es so, dass gleich das erste Adler-Auswärtsspiel der noch jungen Saison im KönigPALAST stattfindet. Dort, wo Akdag sieben Jahre spielte und er zum Nationalspieler wurde. Nur verständlich, dass er auch hier wieder Gänsehaut bekommen wird und Emotionen hoch kommen. „Es ist bestimmt komisch für mich, wenn ich in die Gästekabine und dann von der anderen Seite aufs Eis gehe“, sagt Akdag, der sich auf das Wiedersehen freut.

Egal auf welcher Seite – Akdag will den Sieg gegen die alten Kameraden. Die werden es ihm nicht einfach machen, kündigten im Vorfeld schon vollen Einsatz an. Den wird Akdag auch zeigen, um mit seinem Team drei Punkte einzusacken. Nach dem Match geht’s nach Hause. Nicht mit dem Auto wie bisher zu seiner Krefelder Zeit, sondern mit dem Bus in Richtung Mannheim. Noch so eine Sache, die sich für Akdag komisch anfühlen dürfte.

Christian Rotter/Mannheimer Morgen

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